Wenn der Krieg kommt: Expertin hält Migrationsströme aus dem...



Judith Kohlenberger ortet einen zunehmend negativen Diskurs über Flüchtlinge in Europa. Palästinensern sei es wichtig, in ihrer Heimatregion zu bleiben, aber eine Flüchtlingswelle aus dem Libanon, wo derzeit viele Syrer Zuflucht gefunden haben, ist im Fall eines ausgedehnten Krieges nicht auszuschließen.

Mit der zunehmenden Drohung einer Eskalation im Nahost-Konflikt stellt sich die Frage, wie ein Krieg in der Region sich auf Migrationsströme nach Europa auswirken könnte. Migrationsexpertin Judith Kohlenberger äußerte in einem Interview mit der APA Spekulationen über mögliche Entwicklungen in den Migrationsmustern. Sie betont, wie wichtig es Palästinensern ist, in ihrer Heimatregion zu bleiben, kann aber eine potenzielle Flüchtlingswelle aus dem Libanon kommen sehen.

Der Nahe Osten ist, so die Forscherin der Wirtschaftsuniversität Wien, eine Region, in der auch vor dem Gaza-Konflikt schon viele Flüchtlinge untergebracht waren. Im Libanon, wo sich viele syrische Flüchtlinge aufhalten, ist schätzungsweise jeder sechste dort lebende Mensch ein Flüchtling. Da der Libanon aufgrund des Beschusses Israels durch die Hisbollah-Miliz nun ein im Konflikt relevanter Staat ist und die Situation immer instabiler wird, könnten sich manche dieser Flüchtlinge „auf den Weg in andere Länder machen“.

Palästinensische Flüchtlinge wollen eher bleiben

Ein Sonderfall seien palästinensische Flüchtlinge. Für diese wäre der Wunsch, in der Heimat zu bleiben bzw. zurückzukehren, noch stärker, „da ja die Sorge im Raum steht, (…) dass es diese Möglichkeit nicht mehr geben wird, so sie einmal den Gazastreifen verlassen haben“, meinte die Expertin. Doch gerade potenzielle Flüchtlinge aus Palästina bereiteten Europa Sorgen. Dadurch, dass Europa immer konservativer werde, herrsche Angst, dass eine Aufnahme von größeren Zahlen an palästinensischen Migranten zu einer „gesellschaftlichen Destabilisierung“ führen könnte.

Kohlenberger erläuterte außerdem, dass die Flüchtlingskrise im Jahr 2015 den Diskurs über Flüchtlinge in eine deutlich negative Richtung gerückt hatte. „Es ist wichtig, wie man über Menschen redet“, sagte sie. Rechte bis rechtsextreme Kräfte würden die öffentliche Diskussion zu Migration aber mit „Desinformation und populistischer Hetze“ beeinflussen, wie die rassistischen Ausschreitungen in Großbritannien verdeutlichten.

Erkenntnisse der Flüchtlingskrise von 2015?

Interessant sei auch, ob die EU sich durch Erkenntnisse nach der Flüchtlingskrise vor neun Jahren besser auf eine mögliche Welle aus dem Nahen Osten vorbereiten könne. Die Expertin zeigte sich kritisch. Über den neu beschlossenen EU-Migrationspakt meinte sie, er „liefert zwar Antworten, aber nicht auf jene Fragen, die sich mit immer mehr Dringlichkeit stellen“. Das Problem sei nicht, dass es neue Gesetze brauche, sondern dass die bestehenden Gesetze nicht umgesetzt würden. Sowohl bei Aufnahmebedingungen von Geflüchteten als auch an den EU-Außengrenzen seien Rechtsbrüche zu verzeichnen – diese Verstöße würden aber nicht geahndet.

Die EU habe aber in den vergangenen Jahren erkannt, wie wichtig Transit- und Nachbarländer für Migrationssteuerung seien. Durch Abkommen mit Transitländern wie Libyen, Ägypten, dem Libanon oder der Türkei halten sich Geflüchtete in diesen Staaten auf, anstatt nach Europa weiterzureisen. Es sorgte jedoch besonders das Abkommen mit Libyen für Aufregung, da die betroffenen Menschen Opfer schwerer Menschenrechtsverletzungen wurden. Einem Statement von Amnesty International aus dem Jahr 2022 zufolge sind Flüchtlinge in Libyen willkürlichen Verhaftungen, Folter, grausamer und unmenschlicher Behandlung, Vergewaltigungen und sexueller Gewalt, Erpressungen, Zwangsarbeit und außergerichtlichen Hinrichtungen ausgeliefert.

Libyen als Negativbeispiel

Auf die Frage, ob solche Gefahren auch in Aufnahmestaaten wie Ägypten oder dem Libanon drohten, in bzw. über die Flüchtende aus dem Nahen Osten reisen würden, antwortete Kohlenberger, dass Flüchtlinge in diesen Ländern zwar zunehmend als Sündenböcke für wirtschaftliche Probleme und Korruption gesehen werden. Libyen und seine menschenrechtliche Situation seien aber „ein negativer Ausnahmefall “ und nicht mit anderen Ländern vergleichbar.

Auch die Europäische Asylagentur gab gegenüber ein Statement ab. Es sei unmöglich, über die Folgen einer möglichen Eskalation zu spekulieren, sagte ein Pressesprecher. Es gebe bisher keine Änderung an der Anzahl von Asylanträgen aus Staaten in der betroffenen Region. Auch die Zahl der Anträge von Palästinensern, die im November 2023 gestiegen war, sei nun wieder gesunken.

Die jetzige Phase des Nahost-Konflikts begann am 7. Oktober 2023 mit dem beispiellosen Angriff der palästinensischen Terrororganisation Hamas auf israelische Gebiete. Sie tötete rund 1.200 Menschen und nahm etwa 250 Geiseln. In der darauffolgenden Militäroffensive Israels, die seitdem andauert, starben bisher fast 40.000 Palästinenser. Auch die im Libanon situierte Hisbollah-Miliz ist in den Konflikt involviert; eine Beteiligung des Iran wird befürchtet. (APA)

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